Fischerviertel, Gasthaus Wilder Mann

Gasthaus zum Wilden Mann im Ulmer Fischerviertel

Mit leuchtender Giebelfassade im Kontrast von roten Schmuckelementen der Fenstergiebelchen und Eckpilaster in Bosseneinteilung mit dem hellen Wandputz erhebt sich ein altes Ulmer Gasthaus am Beginn der Fischergasse, Ecke Schwilmengasse – der „Wilde Mann“.

Schon 1615 wird dieser als Zapfwirtschaft erwähnt, die sich zur 1636 genannten offenen Herberge entwickelte. Der damalige Wirt Baumbach hatte nun Ställe für fünf Pferde samt ordnungsgemäßen Betten einzurichten. 1716 war der „Wilde Mann“ Weinwirtschaft und hatte das Recht, eine Branntweinbrennerei zu betreiben. In diesem wahrhaft geistig anregenden Milieu befand sich 1786 die Ulmer Herberge für Schneidermeister. Allerdings kann die heute so genannte „Schneiderstube“, an Albrecht Ludwig Berblinger erinnernd, kaum die von flugträumerischen Gedanken
des Schneiders von Ulm erfüllte Wirtsstube gewesen sein. Denn das alte Gebäude aus dem 17. Jahrhundert wurde 1878 so umgebaut, dass aus den drei einstigen niederen Stockwerken zwei neue höhere entstanden; dazu kam dann noch die heutige gründerzeitliche Putzfassade ans alte Haus. Sicher aber stellten einst dort die reitenden (Post-)Boten von Krumbach, Laupheim, Schwendi und Öpfingen ihre Pferde ein.

Während die an der Hausecke angebrachte Figur eines Wilden Mannes nicht mehr die im Zweiten Weltkrieg verloren gegangene Originalfigur ist, gab es im November 1918 nebenan, im vom Baum verdeckten Haus „Hohentwiel“, echte wilde Männer. In der damaligen Nachbargaststätte wurde während dieser Revolution der Ulmer „Arbeiter- und Soldatenrat“ gegründet, worüber sich der Chronist der konservativen Ulmer Bilderchronik erhitzte: „Es ist ein entsetzliches Bild, das die durch die Straßen lümmelnden Angehörigen der früheren stolzen deutschen Wehrmacht bieten.“

Erhabener fände besagter Chronist sicher die vor dem „Wilden Mann“ am Eingang zum Fischerviertel aufgestellten drei Stelen des oberschwäbischen Bildhauers Axel F. Otterbach, in der linken unteren Bildecke erkennbar. Sie ergeben städtebaulich ein „Tor“ ins Viertel der Ulmer „Räsen“, an diese Urbewohner des Fischer- und Gerberviertels erinnernd; zeigen doch die drei hochrechteckigen Stelen aus kostbarem Carrara-Marmor, ein von Otterbach bevorzugtes Material, in lichtdurchströmten Negativformen, den Stein transparent werden lassend, einen Fisch, ein Schabeisen zur Fellbearbeitung sowie ein Stechruder oder Floßstock. Mit der Gestaltung von Reminiszenzen an die einst im Fischerviertel Arbeitenden gewann der Künstler 1987 den ausgeschriebenen Wettbewerb für Kunst im öffentlichen Raum an dieser Stelle; seither grüßen der Fischer-, der Gerber- und der Flößerstein zum „Wilden Mann“ hinüber. Und wilde Männer gab es ja auch unter den Räsen…

Text: Uwe Heinloth